top of page

Ausweichmanöver – oder: Warum ich plötzlich ganz dringend die Küchenschublade sortieren muss

Kennst du das? Es gibt so Momente im Leben, da könnte man ehrlich hinschauen. Auf ein Thema, das schon länger anklopft. Auf einen Schmerz, der eigentlich mal gefühlt werden will. Auf eine Wahrheit, die unangenehm im Raum steht.

Aber stattdessen… beginnt man ganz plötzlich, die Küchenschublade zu sortieren. Oder die Buchhaltung zu machen (Schön wärs eigentlich). Oder den kompletten Keller umzuräumen.


Willkommen im Land der Ausweichmanöver.


Sie sind kreativ. Sie sind vielfältig. Und sie sind zutiefst menschlich.


Hier eine kleine Auswahl meiner Lieblingsklassiker:


  • Vermeidung statt Konfrontation:

    „Ach, das Thema ist gerade einfach zu groß. Ich brauch erst mal Ruhe. Also… noch mehr Netflix.“


  • Aktivität statt Auseinandersetzung:

    „Ich funktioniere einfach. Wenn ich nur genug schaffe, spür ich’s vielleicht nicht so.“


  • Schutzmechanismen statt ehrlichem Fühlen:

    „Ich bin nicht traurig. Ich bin einfach müde. Ganz normale Müdigkeit.“

    (Nein, das ist keine Müdigkeit. Das ist Traurigkeit im Jogginganzug.)


  • Wut auflösen in Höflichkeit:

    „Ich bin nicht wütend. Ich bin nur… enttäuscht. Und ja, ich hab den ganzen Kuchen aufgegessen, aber das war rein symbolisch.“


  • Schuldumkehr:

    „Ich würde ja an mir arbeiten – aber mein Umfeld lässt es einfach nicht zu.“

    (Autsch.)


  • Helfer-Modus:

    „Ich muss mich gerade um alle anderen kümmern. Da bleibt keine Zeit, in mich hineinzuspüren.“

    (Ja, genau deshalb wäre es so wichtig.)


  • Kopfkino statt Realität:

    „Ich hab alles durchgedacht. Inklusive Szenarien für den schlimmstmöglichen Fall.“

    (Problem: Das Denken ersetzt nicht das Fühlen.)


  • Humor als Tarnumhang:

    „Haha, ist ja eh alles ein Wahnsinn, oder?“

    (Lachen ist wichtig. Aber manchmal steckt dahinter auch ein leiser Schmerz, der nicht gehört wird.)


  • Rückzug statt Begegnung:

    „Ich meld mich einfach bei niemandem mehr. Dann kann auch keiner was sagen.“

    (Gefühle in den Schrank sperren hilft meistens nur kurz. Leider.)


  • Selbstoptimierung statt Selbstannahme:

    „Ich muss mich nur besser strukturieren, dann geht das alles weg.“

    (Nicht immer ist der neue Wochenplan die Lösung. Manchmal ist es ein Blick auf das, was wirklich schmerzt.)


  • „Ich muss nur noch besser werden…“

    „…dann passiert mir das nicht mehr. Dann verletzt mich das nicht mehr. Dann krieg ich es endlich hin.“

    (Ein stiller, hartnäckiger Glaubenssatz – der uns glauben lässt, wir müssten uns erst verändern, um würdig zu sein.)



Und genau da darfst du liebevoll hinschauen. Ohne Druck. Ohne Schuld. Ohne inneren Zeigefinger. Sondern mit Neugier. Mit kleinen Schritten. Mit einem sicheren Raum.


In meiner Beratung begegnen mir diese Ausweichmanöver immer wieder – oft ganz liebevoll getarnt. Aber wenn man ihnen auf die Schliche kommt, entsteht etwas Kostbares: Ehrlichkeit. Erleichterung. Veränderung.


Ein wunderbares Werkzeug dafür ist übrigens das Systembrett. Es hilft, Abstand zu gewinnen und Themen sichtbar zu machen, ohne sich gleich mittendrin zu verlieren. Und manchmal zeigt es ganz sanft:

„Da ist etwas, das gesehen werden will.“


Wenn du merkst, dass du gerade viel sortierst, planst, lachst, funktionierst oder dich zurückziehst – vielleicht ist das kein Zufall. Vielleicht ist es ein stiller Hinweis:

„Ich darf da hinschauen. Und ich muss es nicht allein tun.“

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
bottom of page