Warum du deinen eigenen Stress nicht spürst – aber den von anderen
- Daniela Klug Beratung
- 16. März
- 4 Min. Lesezeit
In meinem Workshop Grundlagen Intensiv zur Hochsensitivität gab es einen Moment, der bei vielen Teilnehmenden für ein tiefes Aha-Erlebnis gesorgt hat: Hochsensitive nehmen Stress oft erst dann bewusst wahr, wenn er bereits stark ausgebrochen ist. Die Frühwarnzeichen werden häufig überhört oder übersehen – nicht, weil Hochsensitive weniger wahrnehmungsstark wären, sondern weil sie im Alltag oft so sehr im „Funktionieren“ gefangen sind, dass sie sich selbst nicht mehr spüren.
Diese Erkenntnis hat viele im Workshop tief berührt, weil sie etwas sichtbar gemacht hat, das viele unbewusst kennen: Plötzlich ist die Erschöpfung da. Plötzlich ist alles zu viel. Doch wenn man zurückblickt, merkt man: Die Warnsignale waren eigentlich schon viel früher da. Sie wurden nur übergangen oder gar nicht wahrgenommen.
Warum überhören Hochsensitive ihre eigenen Stresssignale?
Hochsensitive Menschen nehmen viele Feinheiten in ihrer Umgebung wahr – Geräusche, Stimmungen, Details, atmosphärische Veränderungen. Sie spüren oft genau, was andere brauchen. Doch wenn es um den eigenen Zustand geht, scheint dieser innere Radar manchmal auszusetzen.
1. Der Modus des „Funktionierens“ – die Selbstwahrnehmung bleibt auf der Strecke
Gerade weil Hochsensitive oft sehr verantwortungsvoll und feinfühlig sind, haben sie eine starke Fähigkeit entwickelt, „zu funktionieren“. Sie kümmern sich, sie passen sich an, sie reagieren auf die Bedürfnisse anderer – oft so lange, bis sie selbst über ihre Grenzen gehen.
• „Ich mache noch schnell das fertig“
• „Jetzt kann ich nicht ausfallen.“
• „Ich bin nur ein bisschen müde, das geht schon.“
Dieses ständige Funktionieren führt dazu, dass sie nicht nur die ersten Anzeichen von Stress übergehen, sondern oft gar nicht wissen, wie sich diese Frühwarnzeichen anfühlen.
2. Die Aufmerksamkeit liegt auf anderen – nicht auf sich selbst
Ein zentrales Muster bei Hochsensitiven ist, dass ihre Wahrnehmung stark auf das Außen gerichtet ist. Sie nehmen feine Stimmungen in Gesprächen wahr, bemerken kleine Veränderungen in der Mimik anderer oder spüren unausgesprochene Spannungen im Raum.
Das Problem: Während sie das alles aufnehmen, spüren sie sich selbst oft gar nicht mehr.
• Sie merken, wenn jemand anders müde oder gereizt ist – aber spüren ihre eigene Erschöpfung nicht.
• Sie nehmen wahr, wenn jemand angespannt ist – aber übergehen ihr eigenes inneres Unwohlsein.
• Sie fühlen sich für Harmonie verantwortlich – und bemerken nicht, dass sie selbst längst am Limit sind.
Dadurch wird es fast unmöglich, eigene Frühwarnzeichen überhaupt zu erkennen.
3. Stress fühlt sich „normal“ an – bis er zu viel wird
Viele Hochsensitive haben gelernt, dass ihr intensives Empfinden manchmal „zu viel“ für andere ist. Deshalb haben sie sich angewöhnt, sich selbst zu regulieren – oft, indem sie ihr Empfinden unterdrücken oder ignorieren.
Aber Gefühle und Körperreaktionen verschwinden nicht einfach. Sie sammeln sich an, bis sie irgendwann nicht mehr überhörbar sind. Dann kommt die Erschöpfung oft plötzlich – scheinbar „aus dem Nichts“.
Welche Frühwarnzeichen gibt es – noch bevor Verspannungen oder Kopfschmerzen auftreten?
Ein zentraler Punkt aus unserem Workshop war: Wir können lernen, unsere eigenen Frühwarnzeichen bewusster wahrzunehmen, bevor der Stress völlig eskaliert.
Typische Warnsignale, die oft unbemerkt bleiben:
Frühwarnzeichen, die oft übersehen werden:
• Leicht veränderte Atmung: Sie wird flacher, ohne dass du es bewusst merkst.
• Gedanken rasen schneller als sonst, springen mehr herum.
• Unbewusstes Anspannen der Hände, der Kiefermuskulatur oder der Schultern.
• Ein diffuses Gefühl von Unruhe, als wäre „etwas nicht ganz richtig“.
• Geringere Frustrationstoleranz – du bist genervt von Kleinigkeiten.
• Ein erstes Bedürfnis nach Rückzug – du möchtest eigentlich nur kurz allein sein.
• Reduzierte Sinneswahrnehmung – du nimmst Farben, Geräusche oder Gerüche weniger intensiv wahr.
• Du reagierst nicht mehr intuitiv, sondern „funktionierst“ nur noch.
Diese Vorboten setzen oft Stunden oder sogar Tage ein, bevor sich der Stress als Kopfschmerzen, totale Erschöpfung oder Gereiztheit zeigt.
Wie kannst du deine eigenen Signale besser wahrnehmen?
1. Viel häufiger checken, wie es dir geht – nicht nur einmal am Tag!
Sich einmal am Tag zu fragen, wie es einem geht, ist zu wenig. Hochsensitive sollten viel öfter kleine „Check-ins“ mit sich selbst machen – am besten mehrmals täglich, auch in kurzen Momenten.
• Vor einer neuen Aufgabe: Wie fühlt sich mein Körper gerade an?
• Nach einem Gespräch mit anderen: Bin ich innerlich ruhig oder aufgewühlt?
• Während des Tagesablaufs: Atme ich tief oder flach? Sind meine Schultern entspannt?
Je häufiger du dir diese Fragen stellst, desto mehr trainierst du deine Selbstwahrnehmung.
2. Körperliche Erdung nutzen – um dich wieder zu spüren
Hochsensitive sind oft viel „im Kopf“. Körperliche Übungen können helfen, die eigenen Signale früher zu spüren:
• Bewusst tief atmen (4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus)
• Hände auf den Bauch legen und spüren, ob Spannung da ist
• Barfuß auf den Boden stellen und das Gewicht bewusst wahrnehmen
3. „Funktionieren“ unterbrechen – bewusst Pausen nehmen
Wenn du weißt, dass du dazu neigst, dich erst um andere oder deine Aufgaben zu kümmern, bevor du dich selbst beachtest, dann setze dir gezielt „Check-in-Pausen“ – selbst wenn du denkst, dass du sie nicht brauchst.
• Mini-Pausen in den Alltag einbauen (2 Minuten bewusst atmen)
• Vor einer anstrengenden Aufgabe kurz innehalten und fragen: Wie geht es mir eigentlich gerade?
• „Erlaubnis zum Pausemachen“ bewusst geben – es ist okay, nicht immer sofort zu reagieren
Fazit: Du kannst deine Stress-Schwelle früher wahrnehmen
Die Erkenntnis aus dem Workshop war klar: Stress baut sich auf – aber wir können lernen, ihn früher zu bemerken. Das braucht Übung, aber es ist möglich.
• Dein Körper sendet dir Signale – hör auf sie, bevor du völlig erschöpft bist.
• Pausen sind keine Schwäche, sondern notwendig, um langfristig gesund zu bleiben.
• Du darfst dich selbst genauso gut wahrnehmen wie andere – dein eigenes Wohlbefinden ist genauso wichtig.
Vielleicht merkst du beim Lesen, dass du deine eigenen Stress-Signale bisher oft übergangen hast. Vielleicht kommt sogar ein Gefühl von Frust oder Traurigkeit auf, weil du dich so sehr um andere kümmerst, aber dich selbst dabei vergessen hast. Das ist verständlich – und du bist nicht allein damit.
Aber anstatt dich für das zu verurteilen, kannst du diesen Moment als etwas Wertvolles sehen: Jetzt hast du es erkannt. Jetzt kannst du etwas ändern. Selbst wenn du es bisher nicht wahrgenommen hast – du kannst heute damit anfangen, dich selbst bewusster zu spüren.Und das ist eine großartige Chance.
Vielleicht kannst du jetzt schon kurz innehalten und dich fragen: Wie geht es mir gerade wirklich?
Und dann nicht mit Selbstkritik reagieren, sondern mit Mitgefühl – so, wie du es auch für andere tun würdest.
Die Erkenntnisse aus dem Kurs perfekt niedergeschrieben. Ich bewundere es, wie du, liebe Daniela, Fakten verständlich, sachlich und punktgenau für uns zum nachlesen niederschreibst. danke vielmals 🙏🥰